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Perspektiven 19

BFS | BLICKPUNKT

Gehen die Erbschaftsteuerverschonungen am Ziel vorbei?

Rund 22 Monate nach dem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes (BFH) hat am 08.07.2013 vor dem Bundesverfassungsgericht(BVerfG) die mit Spannung erwartete mündliche Verhandlung zum Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) stattgefunden. Obwohl der Streitfall die ursprüngliche Gesetzesfassung von 2009 betrifft, wies der Senat bereits zu Beginn darauf hin, dass trotz gesetzgeberischer Nachbesserungen die Besteuerungskonzeption des ErbStG gleich geblieben sei. Das Urteil, das nunmehr für den Herbst angekündigt worden ist, wird also vermutlich auch für die aktuelle Gesetzesfassung Geltung beanspruchen können.

Im Vorlagebeschluss vom 27.09.2012 hatte der BFH das erst zum 01.01.2009 in Kraft getretene ErbStG wegen eines „verfassungswidrigen Begünstigungsüberhanges“ scharf kritisiert: Die Verschonungsmöglichkeiten für Kapitalgesellschaftsanteile, Betriebs- sowie Land- und Forstwirtschaftliches-Vermögen (§§ 13a, b ErbStG), die bis hin zur vollständigen Steuerfreiheit bei Schenkung und Erbschaft reichen, seien nicht durch hinreichend zielgenaue und realitätsnah typisierte Sachgründe gerechtfertigt. So spiele etwa der vom Gesetzgeber u.a. in der so genannten „Lohnsummenregelung“ abgebildete Begünstigungsgrund des „Arbeitsplatzerhalts“ in der Praxis keine entscheidende Rolle. Denn mehr als 90% der Betriebe wiesen weniger als 20 Beschäftigte auf und unterfielen insofern schon gar nicht dem Anwendungsbereich der Schutzregelung. Auch der sog. „Verwaltungsvermögenstest“, mit dem eine Stufe zuvor verschonungswürdiges von unverschontem Vermögen abgegrenzt werden soll, ist nach Auffassung des BFH realitätsfern umgesetzt. Schon die allgemeine Typisierung, dass bis zu 50% „unproduktives“ Vermögen in einem Betrieb enthalten sein dürfe, führe zu einer gleichheitswidrigen Sonderverschonungsmöglichkeit bei Unternehmern und Anteilseignern.

Die (reine) „Cash-Gesellschaft“, der bereits mit dem Amtshilferichtlinie – Umsetzungsgesetz Mitte 2013 ein Riegel vorgeschoben wurde, war insofern Prototyp der sich hieraus ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten. Über Konzernstrukturen und damit zusammenhängende Kaskadeneffekte lassen sich derartige Gestaltungen trotz zwischenzeitlicher Gesetzesänderungen aber bis heute erreichen.

Das BVerfG hinterfragte mehrfach kritisch, ob der Gesetzgeber insofern nicht seinen grundsätzlich bestehenden Einschätzungsspielraum überschritten habe. Im Kern gehe es um die verfassungsrechtlich gebotene Zielgenauigkeit der Verschonungsregelungen sowohl im Mittel als auch hinsichtlich des verfolgten Zweckes: Zunächst sei schon das konkrete Begünstigungsobjekt unklar: Sollen nur kleine und mittlere Unternehmen – vielfach als „Deutscher Mittelstand“ beschrieben – begünstigt werden oder soll Betriebsvermögen jedweder Couleur verschonungsfähig sein? Oder geht es um die Unterstützung gerade von Familienunternehmen? Auch der Schutz von Arbeitsplätzen, die Stärkung der Eigenkapitalquote und die daraus folgende Investitionskraft deutscher Unternehmen wurden in der Verhandlung als – möglicher – Gesetzeszweck vorgetragen. Die nötige Klarheit des Regelungszweckes konnte der Senat den Darlegungen der Beteiligten aber offenbar nicht entnehmen. Aber selbst wenn man zugunsten des Gesetzgebers die genannten Ziele annehmen wollte, ergäben sich zudem vielfach Zweifel, ob mit den Einzelregelungen in den §§ 13a, b ErbStG eben diese Ziele erreicht werden können und insofern von der bemängelten Überprivilegierung trennscharf abgegrenzt werden. Im Zentrum der mündlichen Verhandlung stand insoweit die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Lohnsummenklausel sowie des Verwaltungsvermögenstests mit dem womöglich willkürlichen Alles-Oder-Nichts-Prinzip und die faktische Öffnung der Verschonungsmöglichkeiten für großkapitalistische Beteiligungen.

Bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung hatte das BVerfG dem Bundesfinanzministerium einen 7-Punkte-Katalog vorgelegt, der die tatsächliche Inanspruchnahme der Verschonungsregelungen betrifft und insbesondere Aufschluss über eine gezielte „missbräuchliche“ Gestaltungspraxis geben sollte. Die Ergebnisse: Von 2009 bis 2012 waren aufgrund der §§ 13a, b ErbStG – mit zuletzt stark steigender Tendenz – Steuermindereinnahmen von insgesamt rund 20 Mrd. Euro zu verzeichnen, davon allein rund 11 Mrd. Euro in 2012. Dies entspricht bei einem durchschnittlichen Steuersatz von 19% in der Steuerklasse I einem zusätzlich übertragenen Vermögen von rund 100 Mrd. Euro. Ob hierin eine „Einladung zur Gestaltung“ zu sehen ist, die unter Umständen zur Gleichheitswidrigkeit des Gesetzes führen kann, blieb im Ergebnis offen. Die insbesondere von den Unternehmensverbänden behauptete Gefährdung des deutschen Mittelstandes durch die Erbschaftsteuer bei Wegfall der Verschonung war für den Senat indes offenbar nicht überzeugend dargelegt, auch weil hier kaum belastbare Daten vorgetragen wurden.

Quo vadis Erbschaftsteuer?

Pointiert formulierte der Senatsvorsitzende Kirchhof insoweit die Frage, ob es sich danach in der Gesamtwürdigung nicht bei den Verschonungstatbeständen nach den §§ 13a, b ErbStG um eine „Privilegierung handelt, die sich von der Rechtfertigung her betrachtet in Nichts auflöst“. Nicht nur diese Äußerung des Senats ließ nach unserer Einschätzung erkennen, dass das Gericht heute die Weichen auf „Verfassungswidrigkeit“ gestellt hat. Ob es zu einer isolierten Entscheidung über die Verschonungsregelungen der §§ 13a, b ErbStG kommen wird oder über das gesamte Gesetz, ist offen. Sicher dürfte allerdings sein, dass es zu keiner Nichtigkeitsentscheidung mit Rückwirkung für noch nicht abgeschlossene Besteuerungsfälle kommen wird. Wir rechnen mit einer Unvereinbarkeitserklärung mit befristeter Fortgeltung des Gesetzes verbunden mit dem Auftrag an den Gesetzgeber, die heute angeklungenen Beanstandungen zu beseitigen. Perspektivisch gehen wir davon aus, dass sich eine Vollverschonung für Betriebsvermögen im Allgemeinen mit dem Gleichheitssatz nicht mehr vereinbaren lassen wird. Und auch im Übrigen werden sich nach den zu erwartenden verfassungsrechtlichen Anforderungen die steuerlichen Rahmenbedingungen für zukünftig reformierte Verschonungstatbestände aus Sicht des Steuerpflichtigen verschlechtern.

Vor diesem Hintergrund dürfte es bei der Handlungsmaxime bleiben:
Bestehende Chancen nutzen!